Folge 2: Der Arbeitgeber kommt zu Wort
Trotz aller Mühen und aller Vorsicht: Ein Arbeitsunfall kann nie ausgeschlossen werden. In dieser Serie stellt die «electrorevue» Ihnen den Fall von Roman Pulvermüller vor. In vier Folgen beleuchten wir den Fall von verschiedenen Seiten, um Ihnen zu erläutern, was nach einem solchen Unfall geschieht.
Der Arbeitgeber von Roman Pulvermüller, tätig in dritter Generation seit 1924, war schon immer davon überzeugt: Sollte in seinem Betrieb ein tragischer Unfall passieren, würde er umgehend aufhören. Mit einer solchen Schuld hätte er nicht auf dem Beruf weiterarbeiten wollen. Er war sich sicher: Das ESTI würde ihm als Arbeitgeber garantiert die ganze Schuld geben.
Heute erinnert er sich an den fatalen 8. Februar 2008, als wäre es gestern gewesen. Der Auftrag beim Kunden war gross und komplex. Er hatte seine besten Leute ausgesandt, so auch Pulvermüller. Die Arbeiten gingen gut voran. Der Kunde hatte die Schaltbewilligung, und die Trafostationen mussten nur noch geprüft werden. Die Tests verliefen reibungslos. Einzig einige Zahnscheiben sollten noch montiert werden, um der Selbstlockerung entgegenzuwirken. Das war an diesem Tag der Auftrag für Pulvermüller – und so nahmen die Dinge ihren Lauf …
Gegen 9 Uhr morgens ging der Anruf mit der Nachricht über den Unfall beim Arbeitgeber ein. Sofort fuhr dieser zusammen mit seinem Chefmonteur zum Unfallort. Alle seine Leute waren beim Kunden beschäftigt. Dort erfuhr er: Pulvermüller hatte 30 Sekunden lang unter etwa 6400 Volt Spannung gestanden. Dass er zufällig auf einer Holzplatte und dadurch isoliert stand, hatte ihm wohl das Leben gerettet. Vor Ort waren auch die Polizei und das Starkstrominspektorat. Der Arbeitgeber befürchtete erst, dass man ihn nun sofort verhören und beschuldigen würde. Doch nichts von alledem geschah. Das ESTI war nur daran interessiert, den tragischen Unfall möglichst minutiös aufzunehmen und zu ermitteln, was genau weshalb geschehen war. Ziel musste es sein, die Lehren daraus zu ziehen, um solche Unglücke in Zukunft unbedingt zu vermeiden.
Ein Careteam für alle Arbeiter der Baustelle wurde vor Ort aufgeboten, um nach dem belastenden Ereignis psychologische Nothilfe zu bieten. Auch viele Arbeitskollegen von Pulvermüller nahmen diese Unterstützung gerne an. Andere stürzten sich hingegen sofort in die Arbeit.
Als er nach dem ersten Schock wieder zurück im Büro war, verfasste der Arbeitgeber ein Schreiben an seine Mitarbeiter. Eine Selbstprüfung müsse immer durchgeführt werden, egal, wie die Umstände seien. Er beschaffte und verteilte zusätzliche Prüfgeräte. Ab diesem Tag machte er die Erfahrung: Die Suva und das ESTI haben den Verletzten sowie den Arbeitgeber immer ernst genommen und sehr gut betreut.
Zusammen mit seiner «Mannschaft» besuchte er Roman Pulvermüller im Spital und es folgten auch private Einladungen. Die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung wurde geprüft. Doch es war eine schwierige, belastende Zeit für den Arbeitgeber. Schuldgefühle nagten trotz allem an ihm. Als sich die Kämpfernatur Roman Pulvermüller – wie ihn der Arbeitgeber schildert – schliesslich zum Fotografen ausbilden liess, nahm auch der Kontakt zwischen den beiden allmählich ab. Noch heute lobt der Arbeitgeber die Arbeit der Suva nach dem Unfall: Dank deren Unterstützung und Begleitung konnte Roman Pulvermüllers grosser Wunsch, seinem Lieblingshobby wieder nachzugehen, erfüllt werden. Seine erste Reise führte ihn schliesslich nach Amerika zum Snowboarden.
Der Arbeitgeber hat seine Firma trotzdem weitergeführt. Er hat sämtliche Sicherheitsvorkehrungen – wie zum Beispiel kontinuierliche Anpassungen der Sicherheitsbestimmungen zum Vorgehen auf dem Bau – getroffen. Der Unfall hat ihn mitgenommen und hat sein Leben verändert. Er sei während dieser Zeit um Jahre gealtert und habe sich in die Arbeit geflüchtet, sagt er heute.