Konjunkturprognose: Deutliche Abschwächung erwartet
Die Expertengruppe Konjunkturprognosen des Bundes senkt ihre Wachstumsprognose für die Schweiz deutlich auf 2,0 % im Jahr 2022 sowie auf 1,1 % im Jahr 2023 (Sportevent-bereinigtes BIP). Die Schweizer Wirtschaft blickt auf ein positives erstes Halbjahr 2022 zurück. Die Aussichten haben sich aber verschlechtert. Die angespannte Energielage und starke Preisanstiege belasten die Aussichten, v. a. in Europa.
Im 2. Quartal setzte sich die Erholung der Schweizer Wirtschaft erwartungsgemäss fort, wenn auch etwas weniger schwungvoll. Das BIP-Wachstum wurde vom Dienstleistungssektor getragen. Insbesondere sind die Konsumausgaben in den Bereichen Freizeit, Gastgewerbe und Reisen nach der Aufhebung der gesundheitspolitischen Massnahmen stark gestiegen.
Die aktuellen Konjunkturindikatoren vermitteln jedoch ein gemischtes Bild. Die günstige Entwicklung des Arbeitsmarkts dürfte den Konsum weiterhin stützen, da sich die Teuerung in der Schweiz weiterhin auf einem verhältnismässig moderaten Niveau bewegt. Damit sollten sich Teile der Binnenwirtschaft weiter erholen. Das herausfordernde internationale Umfeld dürfte sich aber zunehmend bremsend auf die konjunktursensitiven Bereiche der exportorientierten Industrie auswirken. Die Expertengruppe hat ihre Erwartungen für die Weltnachfrage deutlich gesenkt; insbesondere sollten sich der Euroraum, die Vereinigten Staaten und China, grosse Handelspartner der Schweiz, schwächer entwickeln als noch in der Prognose von Juni erwartet. In der Summe erwartet die Expertengruppe für die nahe Zukunft eine schwächere Expansion der Schweizer Wirtschaft.
Der weitere Konjunkturverlauf hängt entscheidend von der weltwirtschaftlichen Entwicklung sowie von der Energieversorgung ab. Angesichts der stark zurückgegangenen Gaslieferungen aus Russland und der eingeschränkten Verfügbarkeit französischer Atomkraftwerke ist das Risiko eines Energiemangels in Europa gestiegen. Andererseits konnten die europäischen Gasspeicher bislang recht zügig aufgefüllt werden, und der Energieverbrauch soll in den kommenden Monaten mit Sparanstrengungen von Haushalten und Unternehmen erheblich reduziert werden. Für ihre Prognose geht die Expertengruppe davon aus, dass eine ausgeprägte Energiemangellage mit breitflächigen Produktionsausfällen ausbleibt.
Vor diesem Hintergrund prognostiziert die Expertengruppe für die Schweiz ein Wirtschaftswachstum von 2,0 % im Jahr 2022 (Sportevent-bereinigtes BIP). Zur Abwärtsrevision gegenüber der Prognose von Juni (2,6 %) trägt bei, dass gemäss den aktuellen Daten die Erholung der Wirtschaft 2021 stärker ausfiel als erwartet, sodass die noch verbleibenden volkswirtschaftlichen Aufholpotenziale insgesamt geringer sind.
Für das Gesamtjahr 2023 senkt die Expertengruppe ihre Wachstumsprognose deutlich auf 1,1 % (Sportevent-bereinigt; Prognose von Juni: 1,9 %). Im Zuge der stärkeren Preisdynamik und der restriktiveren Geldpolitik dürfte sich die Nachfrage im Ausland bis zum Ende des Prognosehorizonts weniger schwungvoll entwickeln als in der Prognose von Juni angenommen. Dies bremst die Schweizer Exportwirtschaft. Aufgrund der gestiegenen Energiepreise ist ausserdem auch in der Schweiz mit höheren Inflationsraten zu rechnen als bislang erwartet (Aufwärtsrevision der Prognose für die Inflation auf 3,0 % für 2022 sowie auf 2,3 % für 2023). Von entsprechenden dämpfenden Effekten auf die Binnennachfrage ist auszugehen.
Infolge der konjunkturellen Abkühlung dürfte sich die Beschäftigungsentwicklung nach dem starken ersten Halbjahr 2022 abschwächen und die Arbeitslosigkeit im 4. Quartal allmählich zu steigen beginnen. Im Jahresdurchschnitt 2022 dürfte die Arbeitslosenquote 2,2 % betragen, gefolgt von 2,3 % im Jahr 2023.
Konjunkturrisiken
Die Schweizer Wirtschaft würde empfindlich getroffen, sollte es in Europa zu einer ausgeprägten Mangellage bei Gas oder Strom mit Produktionsausfällen auf breiter Basis und einem deutlichen Abschwung kommen. In einem solchen Negativszenario wäre auch im Inland mit einem hohen Preisdruck bei gleichzeitig rückläufiger Wirtschaftsentwicklung zu rechnen.
Angesichts steigender Zinsen verschärfen sich die Risiken im Zusammenhang mit der global stark angestiegenen Verschuldung. Die Wahrscheinlichkeit von Korrekturen an den Finanzmärkten ist erhöht. Auch im Immobiliensektor bestehen im Inland wie international weiter Risiken. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sich die Inflation als persistenter erweist als bislang angenommen. Damit könnte ein restriktiverer Kurs der internationalen Geldpolitik nötig werden.
Rückschläge bei der Pandemie, z. B. aufgrund neuer Virusvarianten, sind nicht auszuschliessen. Anhaltende stark einschränkende Corona-Massnahmen könnten insbesondere die chinesische Wirtschaft weiter schwächen – mit Auswirkungen auf die globale Konjunktur.
Möglich ist aber auch eine günstigere Entwicklung als in der Konjunkturprognose unterstellt. Dies etwa, falls sich die Energielage glimpflicher als erwartet entwickelt bzw. schneller entspannt. In einem solchen Positivszenario wäre mit tieferen Inflationsraten und einer robusteren Nachfrage im In- und Ausland zu rechnen.