Auswirkungen der Elektrifizierung und des starken Ausbaus der erneuerbaren Energien auf die Schweizer Stromverteilnetze
Das Energiesystem der Schweiz wandelt sich auf dem Weg in Richtung des Netto-Null-Emissionsziels bis 2050. Dieser Wandel ist technisch möglich und wirtschaftlich tragbar. Das haben die Energieperspektiven 2050+ in verschiedenen Netto-Null-Szenarien nachgewiesen. Welche Auswirkungen hat dies aber auf das Verteilnetz, an dem immer mehr Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge und Photovoltaikanlagen angeschlossen sind? Dieser Frage geht eine neue Studie nach, die von den Beratungsunternehmen Consentec, EBP und Polynomics im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE) erstellt wurde. Sie untersucht den Ausbaubedarf der regionalen Verteilnetze und die damit verbundenen Investitionen, die in den verschiedenen Szenarien der Energieperspektiven 2050+ zu erwarten sind.
Mit dem Umbau des Energiesystems nimmt die Elektrifizierung und der Ausbau der erneuerbaren Energien stark zu. Die zunehmend dezentrale Einspeisung erfordert einen weiteren Ausbau der Stromverteilnetze, um die Verbraucher zuverlässig mit Strom versorgen und den erzeugten Strom abtransportieren zu können. Die Höhe des Investitionsbedarfs hängt von verschiedenen Faktoren ab. So haben beispielsweise die Verbrauchssteuerung insbesondere bei der Elektromobilität oder intelligente Netztechnologien einen grossen Einfluss auf den Investitionsbedarf. Im Rahmen des Bundesgesetzes über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien sind verschiedene Massnahmen vorgesehen, um die Kosten zu reduzieren. Dazu gehören die Möglichkeit zur Einführung dynamischer Tarife, Anpassungen der Kostenwälzung über die Netzebenen oder die Flexibilitätsregulierung.
Szenarien der Studie
Die Studie analysiert schweizweit die Auswirkungen der künftigen massiven Verbreitung von Elektromobilität, Wärmepumpen und Photovoltaik (PV) auf die Verteilnetze. Dazu wurden auf Gemeindeebene ein gebäudescharfes Modell zur Eignung und Durchdringung von Wärmepumpen und zur Photovoltaik auf Dächern und Fassaden sowie eine Simulation aller Personenwagen und leichten Nutzfahrzeugen und deren Ladevorgängen verwendet. Analysiert wurden der Netzausbaubedarf (Ersatz, Ausbau, Kapazitätserweiterung), der Investitionsbedarf und die resultierenden Netzkosten und Endverbrauchertarife für das Verteilnetz. Grundlage für die Analysen sind die Netto-Null Szenarien der Energieperspektiven 2050+. Sie werden mit dem Szenario «Weiter wie bisher» (WWB) verglichen, bei dem lediglich die bis Ende 2018 in Kraft gesetzten Massnahmen weitergeführt werden, und mit dem das Netto-Null-Ziel nicht erreicht werden kann.
ZERO Basis: Starke Elektrifizierung des Energiesystems
ZERO A: Noch stärkere Elektrifizierung des Energiesystems als in ZERO Basis
ZERO B: Schwächere Elektrifizierung des Energiesystems als in ZERO Basis, dafür höherer Anteil an Biogas und synthetischen Gasen
ZERO C: Schwächere Elektrifizierung des Energiesystems als in ZERO Basis, dafür spielen Wärmenetze sowie flüssige biogene und synthetische Brenn- und Treibstoffe eine stärkere Rolle
Resultate Netzausbaubedarf
Der Netzausbaubedarf liegt im Szenario ZERO Basis 2 bis 2,5-mal höher als in WWB. Der Lastzuwachs (Verbrauch) in ZERO Basis ist um 70% und die Zunahme der installierten PV-Leistung fast viermal höher als in WWB.
Die noch stärkere Elektrifizierung des Energiesystems in ZERO A erhöht den Netzausbaubedarf je nach Netzebene um bis zu 30% gegenüber ZERO Basis. Die geringere Elektrifizierung in ZERO B und ZERO C verringert den Netzausbaubedarf im Vergleich zu ZERO Basis um bis zu 35%.
In einer Variation des Szenarios ZERO Basis mit einem noch rascheren und stärkeren Ausbau der PV-Anlagen (auf 37 TWh im Jahr 2035, gemäss den Zielen, die der Ständerat bei der in Beratung der Revision des Energiegesetzes definiert hat) steigt der Netzausbaubedarf insbesondere in den höheren Netzebenen: Ab Netzebene 5 liegt der Netzausbaubedarf um 15 bis 20% höher als in ZERO Basis. In den unteren Netzebenen 7 und 6 bleibt er etwa gleich wie in ZERO Basis.
Durch den kombinierten Einsatz von Einspeisemanagement und netzorientierter Laststeuerung kann der Netzausbaubedarf in ZERO Basis je nach Netzebene um 25 bis 60% reduziert werden. Eine ähnlich grosse Reduktion ergibt sich durch ein smarteres Netz mit intelligenter Steuerung und einer optimalen Nutzung der Flexibilitäten. Nimmt hingegen das Heimladen der Elektrofahrzeuge stark zu und erfolgt die Laststeuerung markt- statt netzorientiert, kann der Netzausbaubedarf je nach Netzebene um 1,2 bis 3-mal höher liegen als in ZERO Basis.
Resultate Investitionsbedarf und Netznutzungstarife
Im Szenario WWB sind auch ohne weitergehende energiepolitische Ziele Investitionen von rund 45 Milliarden Franken (real zu Preisen von 2020) für den Erhalt und den Ausbau der Stromnetzinfrastruktur notwendig. In ZERO Basis, mit dem das Netto-Null-Ziel erreicht wird, fallen gegenüber WWB zusätzlich 30 Milliarden Franken an. Bei einer noch stärkeren Elektrifizierung in ZERO A liegt der Investitionsbedarf um 39 Milliarden Franken und in der Variation PV-Ständerat um 37 Milliarden Franken höher als in WWB. Ein Grossteil dieser Investitionen fällt übrigens für die Erneuerung der Bestandsanlagen an: In WWB gehen 75% der Investitionen in die Erneuerung und nur 25% in den Ausbau. Bei den Netto-Null-Szenarien sind es rund 50%.
Mit einem optimal netzorientierten Ladeverhalten bei der Elektromobilität bei einer gleichzeitigen Kappung der Einspeisespitzen der PV-Anlagen auf 70% der installierten Anlagenleistung oder auch mit einem smarteren Stromnetz könnte der Investitionsbedarf um rund einen Viertel gesenkt werden.
Die jährlichen Gesamtkosten des Verteilnetzes steigen in WWB bis 2050 um rund 35% an (von heute real 3.4 Milliarden Franken auf 4.7 Milliarden Franken). In ZERO Basis steigen die Kosten um 108% auf rund 7.2 Milliarden Franken. In der Variation PV-Ständerat beträgt der Anstieg der Kosten 121%.
Dadurch steigen auch die durchschnittlichen Endverbrauchertarife. Aufgrund des höheren Stromverbrauches im Jahr 2050 steigen sie jedoch weniger stark als die Kosten. In WWB steigen die Tarife auf Netzebene 7 um 27%, in ZERO Basis um 63% und in der Variation PV-Ständerat um 70%. In dieser Variation steigen Netzkosten und Netztarife zwischen 2026 und 2035 rasant an und flachen danach wieder ab.
In den einzelnen Netzgebieten kann der Anstieg der Tarife in allen Szenarien stärker oder schwächer ausfallen.
Die Netzebenen 3 und 5 haben einen überproportional grossen Anteil an den notwendigen Netzinvestitionen, auch wenn diese durch den zusätzlichen Verbrauch und höhere Einspeisungen auf der Netzebene 7 verursacht werden. Mit dem heute geltenden Kostenwälzungsmodell können die Mehrkosten auf den oberen Netzebenen nicht vollumfänglich verursachergerecht an die Netzebene 7 weitergegeben werden.