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Künstliche Beatmung auf dem Buckel der Stromkonsumenten
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In Bundesbern muss man nur laut genug sein, dann knickt sogar der Ständerat ein. So passiert in der letzten Wintersession angesichts der kriselnden Stahlwerke in Gerlafingen und Emmenbrücke. In der Schlussabstimmung wurden Nothilfen für sie und für zwei Walliser Aluminiumwerke befürwortet.
Bei seinem Entscheid griff das Parlament in den Giftschrank der politischen Massnahmen und verpackte Industriepolitik in eine Parlamentsberatung, die nichts, aber auch gar nichts mit dem Problem der Stahlindustrie zu tun hatte.
Eigentlich wollte der Bundesrat im Stromversorgungsgesetz klare Regeln schaffen, um die Stromversorgung der Schweiz insbesondere für die Wintermonate zu sichern, was übrigens auch gelungen ist. Die aktuelle Winterreserve-Verordnung und damit auch die darauf basierenden Stromreserven sind bis Ende 2026 befristet. Die Stromreserve besteht aus den Elementen Wasserkraftreserve, thermische Reserve aus Reservekraftwerken, Notstromgruppen und Wärme-Kraft-Koppelungsanlagen sowie allenfalls aus Verbrauchseinschränkungen. Die Reserve kommt zum Einsatz, wenn der Markt eine Stromlücke nicht schliessen kann. Die Ausgangslage war also klar. Es ging weder um eine autarke Stromversorgung der Schweiz noch um irgendwelche Nothilfen zu Gunsten der Wirtschaft.
Was die zuständige Kommission UREK zusätzlich aufgeladen hat, ist ein ordnungspolitischer Sündenfall. Der Hintergrund ist bekannt: Der Schweizer Stahlindustrie geht es unter anderem aufgrund von EU-Zöllen und hohen Energiepreisen schlecht. Arbeitsplätze sind akut bedroht. Druck kommt vor allem aus Gerlafingen. Arbeiter der dortigen Werke demonstrierten, und die Geschäftsleitung weibelte für ihr Anliegen in den Kommissionen und in der Wandelhalle.
Ziel: Man will für die Stahlwerke eine deutliche Reduktion der Netznutzungskosten. Zwar ist sie als temporäre Überbrückung gedacht und mit strengen Auflagen verknüpft. Doch das Signal an die anderen stromintensiven Branchen ist fatal. Damit der Strom vom Kraftwerk zu den Kundinnen und Kunden gelangt, braucht es eine Netzinfrastruktur, die allen Produzenten und Verbrauchern zur Verfügung steht. Es gibt nur ein Stromnetz. Woher der Strom auch kommt, er fliesst immer über dieselben Leitungen. Aus diesem Grund sind die Tarife für die Nutzung des Netzes reguliert. Das Stromversorgungsgesetz regelt detailliert, welche Kosten den Endverbrauchern verrechnet werden dürfen und wie hoch die Verzinsung des eingesetzten Kapitals ausfallen darf. Es ist ein Solidaritätsbeitrag aller Bezüger an eine unterbruchsfreie Stromverteilung und wird von der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (ElCom) streng überwacht. Wird nun ein einzelner Kunde bei den Netznutzungskosten entlastet, fehlen diese Beträge in der Gesamtsumme. Zur Kasse werden wohl die anderen Kunden gebeten. Der Zweck des Stromnetzes ist aber nicht eine finanzpolitische Umverteilung. Es ist daher das falsche Vehikel zur Finanzierung industriepolitischer oder anderer Anliegen.
Da behauptet der Präsident der italienischen Beltrame-Gruppe (heutiger Besitzer Stahl Gerlafingen AG) Antonio Beltrame, dass die hohen Netznutzungsgebühren nicht nur den Stromtransport, sondern auch die Gewinne der Stromkonzerne sichern (SZ, 13.1024). Damit stellt er die Funktion der ElCom auf gefährliche Weise in Frage. Doch wenn dem so ist, was übrigens nach den inakzeptabel hohen Bonusbezügen des AXPO-CEO Christoph Brand und seinen Stromhändlern nicht ganz abwegig klingt, müsste ja nicht ein einzelner Wirtschaftszweig entlastet werden, sondern alle Bezüger.
Warum in aller Welt zwingt das Bundesparlament uns Strombezüger dazu mitzuhelfen, Stahl Gerlafingen künstlich zu beatmen, statt das Netz-Problem grundsätzlich zu hinterfragen?
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Matthias Samuel Jauslin
ist seit 2015 Mitglied des Nationalrats, Mitglied der Kommissionen für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF) sowie Mitglied der Geschäftsprüfungskommission (GPK). Er ist Geschäftsführer und Hauptaktionär eines Unternehmens, das im Bereich Elektroanlagen, Telematik und Automation tätig ist.